Erfahrung mit Leiharbeit – Ein Interview
Jede dritte freie Stelle ist eine Leiharbeitsstelle. Das „Jobwunder“ ist ein Lohndumping-Wunder. Die Jobcenter drücken mit Sanktionsandrohung in Leiharbeit. In fast jeder Branche und für fast jede Tätigkeit bieten Zeitarbeitsfirmen ihre „Dienstleistungen“ an. Diese sind vor allem: Kosten sparen für die Einsatzfirma durch Vermeidung von Festanstellungen. Aber auch die Spaltung der Belegschaften und das Absenken des Lohnniveaus sind auf dem Programm. In unserem Verein sind immer mehr Mitglieder von Leiharbeit betroffen. Mit Interviews unserer Mitglieder wollen wir auf die Lage der Lohnabhängigen in Frankfurt aufmerksam machen und für unsere Interessen und Forderungen Öffentlichkeit schaffen. Ergänzt durch entsprechende Hintergrundinformationen schaffen wir Bewußtsein und damit die Grundlage für gemeinsames und solidarisches Handeln. Im Folgenden die Abschrift eines Erfahrungsberichts.
Immer einsatzbereit für niedrigen Lohn
Schon allein beim ersten Punkt: 6,70 € Stundenlohn brutto. Da fängt die ganze Sache schon an. Nach Abzügen hast Du dann vielleicht noch vier oder fünf Euro. Das ist schon mal der erste große Hammer. Der nächste Hammer ist, dass Du nachmittags oder abends angerufen wirst und gesagt bekommst, wo du am nächsten Tag arbeiten musst. Wenn du Glück hast wirst du von der Firma auch da hingefahren, ansonsten musst du selber sehen, wie du dann da morgens um 6 Uhr aufschlägst.
Kontrolle
Man wird jeden Morgen vom Chef kontrolliert, man hat also nicht mal die mindeste Selbständigkeit, es herrscht ständige Kontrolle. Die kamen auch auf den Arbeitsstellen vorbei und haben geguckt und nachgefragt wie wir arbeiten. Das ist ja verständlich, die müssen ja ihre Kunden pflegen, aber andererseits ist das schon eklig. Man fühlt sich wie so ein Azubi. Die kontrollieren ob du da bist, ob du deinen Zettel richtig ausgefüllt hast.
Der letzte Depp
10 Stunden am Tag habe ich mindestens gearbeitet, siehst du auf den Stundenzetteln. Die Pause war normalerweise eine halbe Stunde lang. Ja und dann darfst du dich als Zeitarbeiter natürlich nicht wundern, wenn du auf den Einsätzen – ich sag jetzt mal Einsätze dazu – behandelt wirst, wie der letzte Depp. Egal, wer du bist und wo du herkommst. Ausländer werden noch schlechter behandelt, war zumindest bisher meine Erfahrung. Ist mir aufgefallen. Schlechte Behandlung durch die Kunden der Zeitarbeitsfirma, weil du halt Billigarbeiter bist.
Angst vor Billiglöhnern
Der krasseste Unterschied zur normalen Beschäftigung war, dass dir immer gezeigt wird, dass du weniger Geld hast, als die anderen. Ganz gravierend ist mir das aufgefallen, dass die das richtig raushängen lassen bei den Zeitarbeitsleuten. Vielleicht auch oft unbewußt. Ich glaube gar nicht, dass die das meist mutwillig machen. Aber sie verhalten sich so, wenn sie festangestellt sind. Bei den Festangestellten sind natürlich auch Leute mit Gehirn dabei, die denken, der hat eine scheiß Situation, muss ich nicht noch beschissener machen. Es gibt bei den Festangestellten das Gefühl, dass die Leiharbeiter einem den Lohn versauen. Weil es ja Billiglöhner gibt, haben sie Angst, dass sie ersetzt werden durch Billiglöhner, weil das ja lukrativer für die Firma ist.
Eine Wand aus Paketen
Zuerst habe ich in einem großen Lager eines sehr großen Einzelhandelskonzerns gearbeitet. Da ging es darum, Container auszuladen. Da hast du dann in einem Container wirklich eine Wand von unten bis oben mit Paketen und danach die nächste und die nächste… Du hast erstmal keine Illusionen, dass du das heute schaffst, wenn du da reinguckst. Dann heißt es leerräumen, also per Hand ausgeladen und auf Paletten sortieren.
Zu langsam und du bist raus
Ein Container wird von drei Personen leergemacht und das natürlich in einer bestimmten Zeit. In zweieinhalb bis drei Stunden muss der Container leer sein. Wenn du gut bist, dann schaffst du das. Es ist machbar, aber mit Dampf. Wenn es länger dauert, kriegt man das deutlich gesagt. Dann kommt der Vorarbeiter und sagt: „Wenn ihr weiter so langsam arbeitet, muss ich morgen jemand anderen bestellen.“
Immer Zeitdruck!
Es ist immer Zeitdruck, immer! Du arbeitest immer auf Akkord. Es ist zu 90% Akkordarbeit. Also du musst einen Schnitt erwirtschaften, sonst bist du weg. Manche haben das nicht geschafft. Die sind dann Ende der Woche für die nächste nicht mehr bestellt worden. In der Papierfabrik, in der ich gearbeitet habe, hattest du am ersten Tag noch ein bisschen Schonzeit, aber die gucken schon. Und wenn du totale Scheiße baust und dir fallen Stöße von Papier runter und sind im Arsch, dann bist du weg, auch nach dem ersten Tag schon.
Strenger Umgang unter Kollegen
Die Kollegen, die da schon länger gearbeitet haben, waren cooler drauf, wenn sie dich länger gekannt haben, aber nicht cool bei Leuten, die nicht gespurt haben, die nicht funktioniert haben, die nicht funktionieren können. Selbst bei diesen Tätigkeiten muss man irgendwie Fähigkeiten mitbringen. War mir auch neu. Unfähige Leute werden unfähig behandelt und wenn du gut bist, kriegst du auch einen Kaffee mitgebracht. Wenn du daneben stehst, aber nicht spurst, kriegst du keinen Kaffee. Strenger Umgang unter den Kollegen, könnte man sagen.
Mach mir den Schnitt nicht kaputt
Du hast da halt auch irgendwelche Afrikaner oder Pakistanis, die noch nie eine Schule gesehen haben, die nicht wirklich gut sprechen, mit denen musst du auch klar kommen. Du musst dich mit Händen und Füßen mit den Leuten verständigen, damit du es hinkriegst, deine Arbeit abzuliefern. Wenn da so ein Vollhorst dabei ist, macht er deinen Schnitt in den Arsch, ganz klar gesagt. Und da ich abends meistens mit einem guten Schnitt rausgegangen bin, weil ich ehrgeizig bin, nervt‘s schon. Weißt du, wenn du diese schwere Arbeit hast und dazu dann auch noch jemanden, der mit dir arbeiten soll und den du dann auch noch nicht mal verstehst – da bist du dann auch scheiße.
Nass kalt, zehn Stunden für 6,70 €
Dann habe ich bei einer großen deutschen Dachpfannen-Ziegelei gearbeitet. Es dürfte die größte in Deutschland sein. Das war klassische Fließbandarbeit. Ich habe eingepackt und das Regal gefüllt. Das machen meistens die jüngeren, weil die Alten das nicht mehr so gut können, die haben alle Rückenprobleme. Der Arbeitsplatz ist nass…kalt…du fängst um halb sieben an zu arbeiten…6,70 €…halbe Stunde Pause…für den ganzen Tag…und der geht von sechs Uhr bis 16:25…In einer Papierfabrik habe ich auch Fließbandarbeit gemacht. Da waren viele Frauen eingesetzt. Die Arbeiterinnen waren ziemlich runter, so vom menschlichen her. Also 6,70 € machen selbst Hartz IV-ler viele nicht mit. Das ist ja weniger als Arbeitslosengeld. Musst du dir echt mal vorstellen, du kriegst weniger als Arbeitslosengeld.
Ich krieg zehn neue für dich
Beim Großlager bist du nach einer Stunde weggewesen, wenn du scheiße oder unfreundlich oder frech warst. Dann hat der Vorarbeiter gesagt: „Ich muss dich nicht nehmen, ich krieg zehn neue für dich. Und die kommen alle angerannt und die wollen.“ Friss oder stirb eben. Das Problem ist: Wenn du nicht eingesetzt wirst, kriegst du keine Kohle.
Alles möglich für 6,70 €
Alles möglich für 6,70 €. Das wäre doch eine gute Überschrift. Damit das auch funktioniert, wurde man als Kontroll- und Strafmaßnahme immer wieder woanders hingesteckt. Wenn du zu oft versetzt wirst, dann wirst du rausgeworfen. Der Druck ist groß. Es gibt Langzeit-Leiharbeiter, die teilweise schon seit zehn Jahren in der Firma sind. Die dürfen dann für den Chef die Stunden aufschreiben. Die verpetzen dich aber auch. Da hast du öfter mal einen Spitzel vom Chef dabei.
Konkurrenzkampf
Überhaupt war das Verhältnis unter den Zeitarbeitern teilweise recht ruppig und von Konkurrenz geprägt, was ich nicht verstehen konnte. Das hab ich denen auch immer versucht, einzubläuen. Also die haben dann wirklich einen auf Konkurrenzkampf gemacht, nach dem Motto “Ich kann schneller abladen, als du oder ich stapel‘ die Palette schneller als du. Damit ich dann auch noch nächste Woche hier bin, wenn ich so schnell arbeite.” Und dann hab ich gesagt, ja mach doch. Wenn du zwei Stunden früher fertig bist, schenkst dem Chef zwei Stunden Geld, was bist denn du für ein Vollidiot?
Gründen wir eine Gewerkschaft?
Der Chef hat auch versucht, zu spalten. Bestimmte Leute hat er bevorzugt behandelt. Wenn der morgens rauskam, hat er denen die Hand geschüttelt und kannte ihre Vornamen. Der Chef hat drauf geachtet, dass ich ihm nicht seine Leute vergraule und umstimmte. Bloß keine Revolution im Betrieb. Aber ich war auf dem besten Weg. Also wär‘ ich noch zwei Monate da gewesen, hätten wir eine Gewerkschaft gegründet oder so.
Zu fertig, um sich zu wehren
In der Zeitarbeitsfirma gab es keinen Betriebsrat, oder zumindest wüsste ich nichts davon. Selbst wenn es einen gegeben hätte, hätts dir keiner gesagt. Sich organisieren oder irgendwas machen ist zu anstrengend für die Leute. Die sind so müde, die haben abends keine Lust mehr sich zu organisieren. Das kann ich auch verstehen. Das ist aber auch taktisch, ganz klar. Die werden so fertig gemacht, dass sie sich nicht mehr wehren wollen. Sie sind zu müde. Also selbst ich bin abends nach Hause gekommen und wär fast im Sitzen eingeschlafen. Wenn du da 5 Millionen Pakete am Tag in der Hand hattest, da denkst du nur noch an Pappe und an Holzpaletten und so.
Kurzhaltung durch Lohn
Bei den Leuten, die das seit Jahren machen, führt das zu geistiger Verdummung. Und sie haben auch einfach zu wenig Geld, um irgendwas zu machen. Die Leute gehen auch nicht mehr raus. Die gehen arbeiten, die gehen nach Hause, die gehen arbeiten, die gehen nach Hause. Die werden auch woanders nicht gerne gesehen, weil sie nicht genug Geld haben, um sich in der Gesellschaft Spaß zu kaufen. Ich glaub, das ist Kurzhaltung durch Lohn.
Zu Hause verrückt, fertig von der Arbeit
Aber viele machen es trotzdem. Besser als zu Hause sein. Das ging mir ja auch so. Ich bin als Arbeitsloser verrückt geworden und hab mir gedacht, gehst du wenigstens in die Zeitarbeit, dann haste was zu tun. Und dann hab ich gekotzt, weil ich so fertig war. Für die Unternehmer ist Leiharbeit super, weil es Lohndumping ist, aber nicht für die Arbeiterschaft.
Arbeitslose, macht keine Leiharbeit!
Was ich vor allem sagen möchte ist: Arbeitslose, macht keine Leiharbeit. Damit die Leiharbeit kaputt gemacht wird. Das wär meine Botschaft. Lieber weiter Hartz IV beziehen. Ich bin keine faule Sau, ich geh gerne arbeiten, aber ich will auch was für meine Arbeit haben. So wie es läuft, macht es die Firmen reicher und die Arbeitnehmer kaputter. Sonst hat es keinen Effekt, nur für die Oberschicht. Das ist das Fazit: Leiharbeit ist Ausbeutung und Sklaverei.